Warum Heimat? Zuhause reicht doch.
Wenn es so einfach wäre, ließen wir die Heimat da, wo der Pfeffer wächst und hüllen uns ein in ein gemütliches Zuhause. Die Heimat lassen wir dann weiter verstauben, in dunklen Löchern versinken und vertrauen dem Strom der Veränderung, der Wörter verschluckt, neue aus dem Uferrand zieht und dazu im steten Fluss Formen abschleift. Doch so deutsch wie der Begriff Heimat ist, so wenig zeigen sich Alternativen, um ein Phänomen zu erfassen, das hochgradig emotional und konkret ist und gleichzeitig abstrakt genug für offensichtliche und verdeckte Vereinnahmung.
Manchmal hilft ein Blick zurück. Heimat war nicht immer schon Heimat, sondern bis vor rund 200 Jahren ein juristischer Begriff für Haus und Schlafstatt und daran gebundenen Rechten. Kein Haus, keine Rechte, keine Heimat. Dann musste man losziehen, das Fürchten lernen und neue Aufenthaltsrechte finden. Das kommt einem bekannt vor – losziehen und eine neue Heimat finden. Doch im Fluss der Zeiten haben sich die zugewiesenen Haus-Rechte abgeschliffen und seit rund 200 Jahren streift das Phänomen Heimat mit unterschiedlichen Aufladungen durch die Moderne. Die Romantiker romantisierten eine heile Heimat, dem entwurzelten Arbeiter gab der Sozialismus (wenigstens) geistige Heimat, die Nation gründete auf einem Konstrukt namens deutscher Heimat. Und die Nazis missbrauchten den Heimatbegriff für ihre ideologische Propaganda und völkisches Denken.
Trotz Heimatfilm, Heimatschlager und häufig nahtlosem Übergang der Heimatvereine nach dem Krieg wirkt das Wort Heimat lange Zeit vergiftet in Deutschland. Und nur zaghaft kommt das Wort zurück in eine breitere Öffentlichkeit. Mitte der 1980er Jahre erscheint die Heimat-Trilogie des Regisseurs Edgar Reitz, bei der Fußball-EM 2006 hat Schwarz-Rot-Gold Konjunktur. Und im Jahr 2018 erreicht Heimat die ministerielle Ebene des Bundes (NRW seit 2017, Bayern seit 2013).
Im Phänomen Heimat kommen viele Aspekte zusammen: Ort und Region, soziale Beziehungen, Landschaft, Werte, Traditionen – sie sind der Rahmen, in dem der Einzelne sich bewegt, sich einfügt, sich unterscheidet, seine Identität bildet. Heimat als Ort der Kindheit ist eine warme Erinnerung – und manchmal als solche gar nicht wahr. Doch Heimat ist viel mehr; sie wird immer wieder neu in der Gegenwart gemacht; sie ist nicht statisch. Heimat ist immer auch der Ort, an dem das Fremde anklopft und immer wieder neu entschieden wird, wie weit Türen und Fenster geöffnet werden. Jeder Zugezogene löst Aushandlungsprozesse über die Zugehörigkeit aus. Traditionen erstarren oder verändern sich. Windräder verschandeln die Landschaft oder sind akzeptierter Teil der Energiewende. Heimat ist nicht spannungs- und konfliktfrei. Doch Heimat ist offen für Gestaltung, für Beteiligung, Engagement und Erfahrungen der Selbstwirksamkeit. In der Heimat ist die Demokratie zuhause.
Ilona Giese
