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Schüren – Ost: Eine Siedlung des Wiederaufbaus aus einem Guss

Wann begann die Geschichte der Siedlung Schüren-Ost? Mit der Ausweisung der Emschersenke im städtischen Wirtschaftsplan als Siedlungsfläche in den 1930er Jahren oder mit der ersten Besprechung der Bauherren und der Architekten in den 1950ern? Mit dem Beginn des Hochbaus im Mai 1961, dem Richtfest Mitte Juli 1962, den ersten Mietern im August 1962?

Die Bauherren und die Stadt Dortmund verwiesen im Juli 1962 mit Stolz auf die Kürze der Bauzeit von eineinhalb Jahren – „der kürzesten, die bisher in Dortmund geschafft wurde“, wie die Westfälische Rundschau schrieb. Als sei ein Bauprojekt in erster Linie ein gebautes Projekt. Die Planungszeit ist mindestens doppelt so lang – und immer noch beeindruckend kurz angesichts der Widerstände und Probleme auf dem Weg zur Überwindung der Wohnungsnot, die bereits in der Vorkriegszeit bestand. Zerstörungen und Zuzüge von Vertriebenen und Flüchtlingen führten zu einem beispiellosen Wohnungsmangel.

Beispiellos - Wohnungsmangel und Bautätigkeit. Im Jahr 1950 wird die Anzahl fehlender Wohnungen in Deutschland - nach dem Zählprinzip 1 Haushalt = 1 Wohnung - auf 5,7 Millionen beziffert. Doch mit einer ebenfalls als „beispiellos“ bezeichneten Bautätigkeit konnte dieses Ausmaß des Mangels bereits ab Mitte der 1950er Jahre halbiert werden. In Dortmund wurden zwischen 1948 und 1961 74.000 Wohnungen im öffentlich geförderten Wohnungsbau gebaut, davon 11.290 in Eigenheimen und Kleinsiedlungen (Anteil mehr als 15 %). Das Ausmaß der Bautätigkeit zeigt sich noch heute: Rund 45 % des aktuellen Dortmunder Wohnungsbestands wurden in den 1950er und 1960er Jahren gebaut. Nach wie vor ist die Zeit des sogenannten Wiederaufbaus stadtbildprägend – und zu diesem Gepräge gehört auch die Schürener Siedlung.

Da, wo bis 1959 geackert und geerntet wurde, entlang der Gevelsbergstraße als Verbindung zwischen Schüren und Aplerbeck, erheben sich in unterschiedlicher Höhe die Wohnquader einer „modernen Siedlung“, die nun auch schon auf die 70 zugeht. Damit ist die Bebauung älter als die „große Kolonie“ in Alt-Schüren werden durfte, die rund 65 Jahre nach ihrem Bau 1911 leergezogen und abgerissen wurde.

1.400 Wohnungen im Emschergrund. 1958 stellten die Holzwickeder Architekten Dreikauß + Schulze das Bauvorhaben anhand eines Modells der Öffentlichkeit vor: Auf den 350.000 Quadratmetern in der Senke zwischen Westfalendamm und Emscher sind 1.400 Wohnungen und Familienheime geplant, ein Einkaufszentrum, ein Kindergarten und eine 16klassige Volksschule. Vorgesehen waren zwei- bis fünfgeschossige Haustypen sowie drei zwölfgeschossige Punktbauten, aus denen bei der Umsetzung schließlich acht Etagen wurden. Die großzügigen Grünflächen werden durch Wege erschlossen, die den Fußgängern und Kindern Sicherheit auf dem Weg zum Einkauf und zur Schule geben.

Hinter dem Architektenentwurf stehen die Bauträger des Projekts, Wohnungsbaugenossenschaften aus der Region. Sie setzten den „sozialen Wohnungsbau“ um, der mit öffentlichen Mitteln finanziell gefördert wurde und Wohnraum für „breite Schichten“ der Bevölkerung schaffen soll, also nicht nur für Geringverdiener, sondern für die Gruppe der leistungsfähige Arbeitnehmerschicht. Die Belegung im sozialen Wohnungsbau erfolgte nach Einkommenshöhe; reguliert waren Mieten und bauliche Mindeststandards.

Sieben Bauträger einigen sich. Für das Projekt Schüren fanden fünf Wohnungsbaugenossenschaften zusammen, die zum Teil im Auftrag von Großunternehmen bauen wollen. Sie planten eine Siedlung aus einem Guss, ein modernes städtebauliches Konzept für die eine „geschlossene“ Siedlungsstruktur.

  • Westfälisch-Lippische Heimstätte GmbH (WLH)
  • Spar- und Bauverein eGmbH
  • Vestische Wohnungsbaugesellschaft mbH (Bundesbahn)
  • Gemeinnützige Deutsche Wohnungsgesellschaft mbH (Bundespost)
  • Westfälische Wohnstätten AG (Dortmund Hörder Hütten Union D.H.H.U.)

Zum ersten Gespräch in der Stadtverwaltung legten die Bauträger Vollmachten des Eigentümers Petersmann vor, dem wesentliche Flächen des Bauvorhabens gehörten – aber nicht alle. Die WLH als federführende Gesellschaft bemühte sich in den folgenden Monaten, alle Flächen im Schürener Emschergrund zu sichern. Doch leicht war es nicht. So hatte sich unabhängig von den anderen Beteiligten eine Dortmunder Bauunternehmung Baugrund gesichert und wollte Wohnungen errichten. Einige Grundstückseigentümer stellten angesichts des Kaufinteresses überzogene Forderungen hinsichtlich der Quadratmeterpreise oder der Tauschbedingungen mit anderen Grundstücken.

Doch zur Überwindung des Wohnungsmangels lagen passende Instrumente in Form von Gesetzen bereit: Die WLH strengte Enteignungsverfahren für rund 20 % der für das Baugebiet notwendigen Fläche an. Die Grundlage dafür bot das Baulandbeschaffungsgesetz von 1949, das eine „soziale Pflicht“ erkannte für „zur Bebauung geeigneten Grund und Boden“ und eine Enteignung „zum Wohle der Allgemeinheit“ verfahrenstechnisch ordnete.

Bemerkenswert an dem Gesetz war allem, dass der Enteignungserwerb nicht auf staatliche Institutionen beschränkt war, sondern ihre Beantragung Bauherren jeder Rechtsform gestattet war. Dieses scharfe Schwert gegen die Eigentumsrechte schwang also die WLH gegenüber den unwilligen Grundstückeigentümern, namentlich erwähnt werden Maas, Flunkert/Moers und Lueg. Die Eigentümer parierten den Streich, in dem sie vor der Enteignungsbehörde im Oktober 1959 angaben, selbst bauen zu wollen und Wohnraum zu schaffen.

Alles aus einem Guss. Nun kann man der Phantasie einen Moment freie Bahn lassen und sich vorstellen, wie Schüren-Ost wohl ausgesehen hätte, wenn die verschiedenen Grundstückeigentümer ihre Bauvorhaben unabhängig voneinander umgesetzt hätten. Es kam anders, weil – zu vermuten ist zähneknirschend – die Wohnungsgenossenschaften die Arme auf machten und die Bauwilligen hinein ließen in den Kreis. Sie stellten die Bedingung, dass die neuen Bauherren sich „den Vereinbarungen der übrigen Beteiligten anzupassen und zu unterwerfen“ haben. In demselben Gespräch sorgen sich die Vertreter der Stadtverwaltung, ob die Privatleute genügend Eigenmittel haben; denn der Kapitalmarkt litt noch unter dem Krieg. Die privaten Bauherren schlossen sich zu zwei Gruppen zusammen, die in den weiteren Planungsrunden durch den Architekten Harde und die Bauunternehmung Schmitt vertreten wurden.

Die Bauträger bemühten sich mit Unterstützung der Stadtverwaltung in das Demonstrativprogramm des Bundesministeriums für Wohnungsbau (1950 – 1961) aufgenommen zu werden, um weitere Fördermittel zu akquirieren. Viele der in diesem Städtebauförderungsprogramm angelegten Kriterien waren in dem Vorhaben in Schüren deutlich erfüllt: Nutzung von Rationalisierungspotenzialen zum Beispiel durch Standardisierung und Typisierung (Fenster, Türen, Treppen), eine städtebauliche Gesamtlösung, die günstige Verkehrslage, eine wirtschaftliche Aufschließung des Baugebiets und vor allem auch die zentrale Beheizung, die zwar von Beginn an vorgesehen war, jedoch nicht leicht umsetzbar schien.

Eine Frage der Heizung. Seit März 1959 liefen Gespräche über mögliche Träger einer zentralen Beheizung – die angesichts der damals herrschenden Kohlenkrise auch als gute Unterstützungsmaßnahme für den Bergbau galt. Die bis dahin ermittelten Kosten für die Beheizung wurden jedoch als zu hoch eingeschätzt. Als Obergrenze nannte das nordrhein-westfälische Wiederaufbauministerium den Erfahrungswert der STEAG: 0,40 DM je qm und Monat. Als mögliche Betreiber im Gespräch waren die DHHU, die VEW Stadtwerke AG, die Firma Opländer. Auch der Ruhr-Kohlen-Beratungsdienst war einbezogen, um ein kostengünstiges Projekt auszuarbeiten. Doch die Firmen hatten ihre Zweifel, ob sich das Blockheizwerk wirtschaftlich betreiben lässt; so wurde zum Beispiel angeregt, das nahe Kasernengeländes einzubeziehen. Im Juni 1960 signalisierte die Hoesch-Werke-AG Interesse. Im Oktober lag ein Projekt von der Kraftanlagen AG Heidelberg vor.

Letztlich betrieb die Gesellschaft für Fernheizung mbH, eine Tochtergesellschaft der STEAG, das Heizkraftwerk. Das Heizungsthema war damit aber nicht abgeschlossen, sondern entwickelte sich zu einem Konfliktthema - das ist eine andere Geschichte.

Vielleicht aus Kostengründen unterbreitete sie der Stadtverwaltung Dortmund Mitte 1962 einen originellen Vorschlag: Die beiden für das Heizkraftwerk neu einzustellenden Heizer, die aus organisatorischen Gründen möglichst nah an der Anlage wohnen sollten, könnten auch die Schulmeisterdienste und im Sommer die Pflege der Außenanlagen übernehmen. Die Stadt lehnt diesen Vorschlag „aus grundsätzlichen Erwägungen“ ab.

Schöne Landschaft für alle. Um den Jahreswechsel 1960/1961 zog die Stadt den Antrag auf das Demonstrativprogramm zurück, was vermutlich zum einen an einer ungeklärten Situation bei der Wärmeversorgung lag, zum anderen aber auch an der Schwierigkeit, den für das Demonstrativprogramm notwendigen 30 %-Anteil für Eigentum zu belegen. Es fehlte aus städteplanerischer Sicht die Bereitschaft, den Eigentumsanteil im Siedlungsprojekt zu erhöhen. Im Bauträgerentwurf lag der Eigentumsanteil durch sog. Familienheime und Eigentumswohnungen bei rund 15 % - und auch die rechnerische Einbeziehung der Kleinsiedlung Am Dreisch und weiterer Eigenheime, sogar bis zur Trapphoffstraße in Aplerbeck, oder die Umwidmung einiger Häuser im Nordosten des Baugebietes (Bereich Gugelweg, Traddeweg) reichte nicht für einen Wert von 30 % aus. In einem Brief an das Wiederaufbauministerium formulierte das Stadtamt 61 die Haltung der Stadt, an den bisherigen Planungen festzuhalten: „das Verhältnis ist also in diesem in sich geschlossenen Vorort besonders günstig, so dass man bei weiterer verstärkter Eigenheimförderung leicht Gefahr läuft, den landschaftlichen schönen Raum nur einem kleinen Kreis zu erschließen, während sich die Zusammenballung in weniger schönen Gegenden zwangsläufig verstärkt.“

Man war zuversichtlich, etwaige Mehrkosten insbesondere durch die zentrale Heizung anders abzudecken. Und mit der Förderung nach dem Wohnungsbaugesetz konnte das Projekt weiter kalkulieren. Diese wurde unter Auflagen vom Ministerium bewilligt. Eine betraf die Lage der Parkplätze in den „Trompeten“ im Norden der Siedlung – das Ministerium regte an, diese näher an die Hauptstraße zu verlegen, um den Autoverkehr zu reduzieren; als zweiter Vorbehalt wurde der geringe Abstand einiger Wohnblöcke von der Gevelsbergstraße genannt. Das zweite Problem konnte durch einige Umplanungen gelöst werden: Einige Gebäude entfielen, andere erhielten eine Etage mehr. Die Parkplätze allerdings blieben im hinteren Bereich wie ein Blick auf den aktuellen Stadtplan zeigt.

Wohnen, Erholen - woanders Arbeiten. Das damalige Siedlungsideal fußte auf einer Trennung der Funktionen Wohnen, Erholen, Arbeiten: An vielen Stellen in Deutschland wurden in sich geschlossene, durch Grünflächen aufgelockerte Siedlungen geplant mit einer eigenen Infrastruktur aus Straßen, Hausanschlüssen, Verkehr, aber auch Einkaufsgelegenheiten, Tankstellen, Kirchen, Schulen und Kindergärten, Sport- und Spielplätzen. Eine von dem Planungsamt durchgeführte Strukturanalyse (Oktober 1960) ermittelte für die neu errichteten 1.651 Wohneinheiten eine Einwohnerzahl von 5.780 Personen, dabei erwartete die Verwaltung für die Belegung eine gute soziale Mischung, wies aber auch darauf hin, dass rund 20 % der Wohneinheiten für die „Mantelbevölkerung“ zu veranschlagen sind – dazu zählen die in den örtlichen Betrieben Beschäftigten sowie Ärzte, Zahnärzte, Hebammen, Lehrer, Anwälte, im öffentlichen Dienst Beschäftigte. Gefordert wurde ein Ladenzentrum, damit „die neu entstehenden Siedlungszellen lebensfähig werden“.

Im Detail stellt das Planungsamt die Anforderungen unter Einbezug der damals aktuellen Empfehlungen von Fachleuten zusammen, was in etwa der Ladenbelegung in der alten „Ladenstraße“ entsprach. Der im Gutachten nicht vorgesehene Polizeiposten machte später einer zweiten Schürener Trinkhalle in der Siedlungsfläche Platz. Das wiederum entsprach den ursprünglichen Empfehlungen: Man wollte kurze Wege für den „Tages- und Stundenbedarf“. Für alles weitere gab es das Auto, das ausdrücklich in die Planungen einbezogen wurde:

Eine Garage für drei Wohnungen. Für je drei Mietwohnungen war eine Garage geplant – mit der Aussicht, dieses Verhältnis in Zukunft einmal auf 2:1 anpassen zu können; bereits Ende der 1950er Jahre rechnete man bereits einer zunehmenden Verbreitung der PKWs – doch vermutlich nicht in dem tatsächlichen Ausmaß, das sich jetzt in Schüren an den Straßenrändern beobachten lässt. Die verkehrliche Anbindung der Siedlung wurde zunächst als nicht so gut eingeschätzt; man vermerkte lange Wege zu den Schnell- und Fernstraßen. Damals stand im Raum eine verkehrliche Anbindung an die geplante NS X, die von Nord nach Süd, aber weit östlicher als die B236n heute Verbindung schaffen sollte. In dem Siedlungsprojekt selbst war eine Straße im Osten der Siedlung bis zur Schüruferstraße vorgesehen, die nie gebaut wurde. Über die Emscher kommt man nur zu Fuß oder mit dem Rad – mit dem Auto fährt man einen großen Umweg hinüber zur Linnigmannstraße.

Als alle Bagger abgezogen, alle Wohnungen bezogen waren, Kinder zum Kindergarten gebracht, Milch und Quark aus dem Milchladen geholt wurden begann die Geschichte der Siedlung Schüren-Ost. Das genaue Datum ist in den Ringen der Bäume niedergelegt, die zwischen den Wohnblöcken stehen und heute diese weit überragen. Schüren-Ost hat nie das typische schlechte Image der (Groß-)Wohnsiedlungen der 1960er und 1970er Jahre mit ihren schmucklosen Baukörpern und den „Betreten verboten – Eltern haften für ihre Kinder“-Schildern an den Grünflächen angehaftet. Die Gründe dafür – sind eine andere Heimatgeschichte.