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Buchbesprechung: Der preußische König und die Aufklärung im Bördedorf Schwefe

Das Entsetzen ist greifbar: Während des Gottesdienstes besetzen Soldaten die Schwefer Kirche, beobachten die Gemeinde. Vor allem die jungen Leute, von denen einige als Communicanten am Abendmahl teilnehmen, zeigen „angst und furcht“. Schließlich endet der Gottesdienst und die Gemeinde verlässt die Kirche, vermutlich schnell und auch erleichtert. Nur einen halten die Soldaten auf Befehl ihres Vorgesetzen fest. Der war gesucht worden, nicht weil er etwas falsch gemacht hatte, sondern weil „er lang gesucht worden, das er solte ein Soldat werden.“ Auf des Königs Befehl nun wird er geholt, „wenns gleich aus der Kirche wäre.“ Und genau dies setzt der im Kreis Soest zuständige Major um. Es ist viel Schrecken in dieser überlieferten Geschichte, aber auch Erstaunliches.

Denn aufgezeichnet ist diese Begebenheit in einem ganz besonderen Kirchenbuch, das der Historiker und Heimatforscher Alexander Baimann in seiner Zeit als Kirchenarchivar entdeckt und in seinem Wert erkannt hat. Geschrieben von Hand mit der Feder, formuliert in lateinischer Sprache bliebe es für die meisten Menschen wie ein Buch mit sieben Siegeln – unzugänglich, unverständlich, nicht entzifferbar. Alexander Baimann hat nun mit seiner Edition des Kirchenbuchs ein halbes Jahrhundert Alltagsleben in einem Kirchspiel im Westfälischen sichtbar gemacht.

Der schreibfleißige Chronist des Gemeindelebens, Pfarrer Johann Hennecke der Jüngere, dokumentierte neben fälligen Baumaßnahmen und die dafür notwendigen Geldspenden der Gemeindemitglieder die für die Ordnung und die Machtverhältnisse in der Gemeinde wichtigen Regelungen. Seit dem 13. Jahrhundert waren Kirche und Schwefer Gemeinde dem Kloster zugehörig, woraus sich Macht- und Entscheidungsbefugnisse ableiten, die im beginnenden 18. Jahrhundert nicht mehr ohne Hinterfragen akzeptiert werden. Vor allem in einem Fall offenbart sich ein komplexes Muster aus tradiertem Machtanspruch und gemeindlichem Rechtsempfinden: Das katholische Kloster begehrt das Läuten der Kirchenglocke für eine verstorbene „chorjungfer“. Doch mit Verweis auf die bisherige Praxis wird dieses Läuten verweigert. Im Detail ist nun das weitere Vorgehen des Pfarrers beschrieben, der sich der Unterstützung seiner Gemeinde durch die Kirchenvorsteher vergewissert und den Soester Rat als Mittler einbezieht. Offensichtlich scheut dieser eine Entscheidung und will lieber eine gütliche Einigung „aus liebe zum frieden“. Ausführlich beschreibt Johan Hennecke den Verlauf der Verhandlungen. Und dabei schimmert das leitende Handlungsmotiv des Pfarrers durch: Recht soll durchgesetzt werden. Eine solche Absicht könnte erklären, warum im Kirchenbuch viele Ordnungen festgehalten sind: Gleich zu Beginn die Ordnung für die Kirchenvorsteher, im weiteren Verlauf Ordnungen und Gesetze zu Erbteilungen, die Statuten des evangelisch-freiweltlichen Stifts in Paradiese und weiteres. Über die Person des Pfarrers Johann Hennecke lässt sich ein Bogen schlagen von Schwefe nach Jena, wo Hennecke studiert hat. Die Universität Jena hat sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu einem Hort der Frühaufklärung entwickelt und gilt als eine der bedeutendsten europäischen Hochschulen zu der Zeit. Hat dies den Studenten Hennecke geprägt? Brachte er die modernen Gedanken zur Bedeutung von Recht und Vernunft mit nach Schwefe? Lag ihm deswegen so viel daran, Recht und Ordnung schriftlich festzuhalten und dadurch zugänglich zu machen?

Alexander Baimann, der Bearbeiter des Kirchenbuchs, weist in seiner erklärenden Einführung auf die fruchtbare Bedeutung hin, die dieses Kirchenbuch für die Forschung weit über die Geschichte des Bördedorfes Schwefe hinaus haben wird. Und abseits der Forschung ist es beste Unterhaltung!

Alexander Baimann, Das Kirchenbuch der evangelischen Gemeinde Schwefe (1700 – 1759) - Edition und Einführung. Tertulla Verlag Soest 2024.